Erfahrungen in Kommunikation

von Carl Rogers

Im Herbst 1964 wurde ich eingeladen, als Redner an einer Vortragsreihe des California Institute of Technology in Pasadena, einer der führenden wissenschaftlichen Institutionen der Welt, teilzunehmen. Die meisten Vortragenden kamen aus den Naturwissenschaften. Die Zuhörerschaft, die von dieser Vortragsreihe angezogen wurde, bestand aus hochgebildeten und anspruchsvollen Leuten. Die Redner wurden aufgefordert, ihre Vorträge, ob es sich nun um Astronomie, Mikrobiologie oder theoretische Physik handelte, durch Anschauungsmaterial aufzulockern.

Ich war gebeten worden, zum Thema Kommunikation zu sprechen.

Als ich begann, Material für meinen Vortrag zu sammeln und mir Notizen zu machen, wurde ich sehr unzufrieden mit dem, was ich da tat. Der Gedanke, das, was ich zu sagen hatte, auch zu demonstrieren, ging mir nicht aus dem Sinn, aber ich ließ ihn dann doch fallen.

Der folgende Vortrag zeigt, wie ich das Problem löste, indem ich selbst zu kommunizieren suchte, statt bloß über das Thema Kommunikation zu sprechen.


Ich habe einige Kenntnisse über Kommunikation und ich könnte weitere anhäufen. Als ich zusagte, diesen Vortrag zu halten, hatte ich zunächst vor, solche Kenntnisse zu sammeln und zu  einem Vortrag zusammenzustellen. Je mehr ich über diesen Plan nachdachte, desto unzufriedener war ich damit. Theoretisches Wissen ist heute nicht das Wichtigste in den Verhaltenswissenschaften, vielmehr ist ein deutliches Anschwellen erfahrungsbezogenen Wissens zu beobachten, eines Wissens, das sozusagen aus den Eingeweiden kommt und mit dem Wesen des Menschen zu tun hat. Auf dieser Erkenntnisebene befinden wir uns in einer Zone, in der nicht einfach von kognitiven und intellektuellen Inhalten die Rede ist, die fast immer ziemlich mühelos in verbalen Begriffen kommuniziert werden können. Wir sprechen vielmehr von etwas Erlebnisnäherem, etwas, das mit dem ganzen Menschen, sowohl mit seinen viszeralen Reaktionen und Gefühlen als auch mit seinen Gedanken und Worten zu tun hat. Deshalb ist mir klar geworden, daß ich, statt über Kommunikation zu reden, lieber auf einer Gefühlsebene mit Ihnen kommunizieren möchte. 

Das ist nicht leicht. Ich glaube, es ist gewöhnlich nur in kleinen Gruppen möglich, wo man sich wirklich angenommen fühlt. Der Gedanke, es mit einer großen Gruppe zu versuchen, hat mir Angst gemacht. Ja, als ich erfuhr, wie groß die Gruppe sein würde, habe ich die ganze Idee aufgegeben. Inzwischen bin ich, von meiner Frau ermutigt, wieder dazu zurückgekehrt und habe beschlossen, einen solchen Versuch zu machen.

Ein Faktum, das mich in meinem Entschluß bestärkte, ist das Bewußtsein, daß diese Vorträge einer langen Tradition entsprechend als Demonstrationen angelegt sind. Das folgende ist keine Demonstration im üblichen Sinne. Dennoch hoffe ich, daß es in gewisser Weise eine Demonstration von Kommunikation sein möge, die primär auf einer Gefühls- und Erlebnisebene übermittelt und empfangen wird.

Was ich tun möchte, ist in der Tat sehr einfach. Ich möchte Ihnen einiges davon mitteilen, was ich für mich in bezug auf Kommunikation gelernt habe. Dies sind persönliche Erkenntnisse, die mir aus meinen eigenen Erfahrungen zugewachsen sind. Ich versuche damit keinesfalls zu sagen, daß Sie dieselben Dinge lernen oder tun sollten, aber ich glaube, daß Sie, wenn ich Ihnen ehrlich genug über meine Erfahrungen berichten kann, meine Aussagen an ihrem eigenen Erleben überprüfen und entscheiden können, ob sie für Sie Geltung haben oder nicht.

In meiner eigenen wechselseitigen Kommunikation mit anderen hat es Erlebnisse gegeben, die bewirkten, daß ich mich froh und warm und gut und zufrieden fühlte. Und es hat andere Erlebnisse gegeben, die bewirkten, daß ich mich bis zu einem gewissen Grad in der Situation selbst und noch mehr hinterher unzufrieden, unfroh, distanzierter und weniger einverstanden mit mir selbst fühlte. Ich möchte Ihnen einiges davon nahebringen. Mit anderen Worten, manche meiner Erlebnisse in der Kommunikation rnit anderen bewirkten, daß ich mich weiter, größer, reicher fühlte. Sie haben mein eigenes Wachstum beschleunigt. Sehr oft bei diesen Erlebnissen hatte ich das Gefühl, daß der andere ähnlich reagierte, daß auch er sich bereichert fühlte und daß seine Entwicklung und Funktionsfähigkeit vorangetrieben wurden. Und dann hat es andere Momente gegeben, in denen das Wachstum oder die Entwicklung beider gebremst oder gestoppt oder gar zurückgeworfen wurde. Sicher wird aus meinen Ausführungen klar, daß ich es vorziehe, wenn meine Kommunikationserfahrungen auf mich selbst wie auch auf den anderen eine wachstumsfördernde Wirkung haben, und daß ich jene Kommunikationserlebnisse meiden möchte, bei denen ich mich ebenso reduziert fühle wie mein Gegenüber.

Das erste simple Gefühl, das ich mit Ihnen teilen möchte, ist meine Freude darüber, wenn ich jemanden wirklich hören kann. Ich glaube, das ist ein Charakterzug, den ich schon sehr lange habe. Ich kann mich daran schon aus meiner frühesten Schulzeit erinnern. Ein Kind stellte dem Lehrer eine Frage, und der Lehrer erwiderte mit einer tadellosen Antwort auf eine völlig andere Frage. Ein Gefühl des Schmerzes und der Enttäuschung durchzuckte mich  jedesmal. Meine Reaktion war: "Aber Sie haben ja gar nicht zugehört!" Ich empfand eine Art kindlicher Verzweiflung über den Mangel an Verständigung, der so verbreitet war (und ist).

Ich glaube zu wissen, warum es befriedigend für mich ist, jemanden zu hören. Wenn ich jemanden wirklich hören kann, komme ich in Kontakt mit ihm; es bereichert mein Leben. Durch Zuhören habe ich all das gelernt, was ich über den einzelnen, über die Persönlichkeit, über zwischenmenschliche Beziehungen weiß. 

Da ist noch etwas seltsam Befriedigendes, wenn man jemanden wirklich hört: Es ist, als vernehme man überirdische Musik, denn jenseits der unmittelbaren Botschaft, wie diese auch lauten möge, ist das Universelle. In all den persönlichen Mitteilungen, die ich wirklich aufnehme, scheinen sich regelrechte psychologische Gesetze zu verbergen, Aspekte derselben Ordnung, die wir im Universum als Ganzem finden. Deshalb ist da sowohl die Befriedigung, den einzelnen Menschen zu hören als auch die Genugtuung, sich in Kontakt mit der universellen Wahrheit zu fühlen.
 

Ich glaube zu wissen, warum es befriedigend für mich ist,
jemanden zu hören. 
Wenn ich jemanden wirklich 
hören kann, komme ich in 
Kontakt mit ihm; es bereichert mein Leben.

Wenn ich sage, daß ich es genieße, jemanden zu hören, dann meine ich natürlich ein tiefes Hören. Ich meine damit das Aufnehmen seiner Worte, seiner Gedanken, seiner Gefühlsnuancen und deren persönlicher Bedeutung, ja sogar der Bedeutung, die unterhalb der bewußten Intention des Sprechers liegt. Manchmal höre ich auch in einer Äußerung, die oberflächlich nicht sehr wichtig erscheint, einen erschütternden menschlichen Schrei, der unerkannt in der Tiefe vergraben liegt.

So habe ich gelernt, mich zu fragen: Kann ich die Klänge der inneren Welt meines Gegenübers hören und deren Gestalt erahnen? Kann ich mit seinen Worten so tief mitschwingen, daß ich nicht nur die Bedeutungen spüre, deren er sich bewußt ist, sondern auch jene, vor denen er Angst hat und die er dennoch mitteilen möchte?

Ich denke an ein Gespräch, das ich mit einem Halbwüchsigen führte. Wie viele Jugendliche heute sagte er zu Beginn des Gesprächs, daß er keine Ziele habe. Als ich ihn darüber befragte, bestand er noch nachdrücklicher darauf, keinerlei Ziele zu haben, nicht einmal ein einziges. Ich fragte ihn: "Es gibt nichts, was du tun möchtest?"

"Nichts. . . Nun ja, ich möchte weiterleben." 

Ich erinnere mich genau an mein Gefühl in diesem Augenblick. Dieser Satz löste eine starke Resonanz in mir aus. Vielleicht teilte er mir lediglich mit, daß er, wie jeder andere, leben wollte. Vielleicht aber sagte er mir - und das schien mir ganz entschieden eine Möglichkeit zu sein -, daß ihn die Frage, ob er weiterleben wollte oder nicht, irgendwann ernsthaft beschäftigt hatte. Ich versuchte also, das Gesagte auf allen Ebenen aufzunehmen. Ich wußte nicht mit Sicherheit, was seine Äußerung besagte. Ich wollte einfach für alle Bedeutungen offen sein, die seine Worte haben konnten, einschließlich der Möglichkeit, daß er zu irgendeinem Zeitpunkt an Selbstmord gedacht haben mochte. Daß ich bereit und fähig war, ihm auf allen Ebenen zuzuhören, hat es ihm vielleicht unter anderem ermöglicht, mir vor Ende des Gesprächs zu sagen, daß er vor kurzer Zeit nahe daran gewesen war, sich ein Loch in den Kopf zu schießen. Diese kleine Episode ist ein Beispiel dafür, was ich damit meine, jemanden wirklich auf allen Ebenen zu hören, auf denen er zu kommunizieren versucht.
 

Manchmal höre ich auch in einer 
Äußerung, die oberflächlich nicht sehr wichtig erscheint, einen erschütternden menschlichen Schrei, der unerkannt in der Tiefe vergraben liegt.

So habe ich gelernt, mich zu fragen:
Kann ich die Klänge der inneren Welt meines Gegenübers hören und deren Gestalt erahnen?
Kann ich mit seinen Worten so tief mitschwingen, daß ich nicht nur die Bedeutungen spüre, deren er 
sich bewußt ist, sondern auch jene, vor denen er Angst hat und die er dennoch mitteilen möchte?

Ich möchte Ihnen noch ein kleines Beispiel geben. Vor kurzer Zeit rief mich ein entfernt lebender Freund an, um mit mir eine bestimmte Angelegenheit zu besprechen. Wir beendeten das Gespräch, und ich legte den Hörer auf. Dann, erst dann, kam mir sein Tonfall voll zu Bewußtsein. Ich spürte hinter der Angelegenheit, die wir erörtert hatten, einen Unterton von Bedrücktheit, Entmutigung, ja Verzweiflung, der nichts mit dem Gesprächsthema zu tun hatte. Ich empfand das so deutlich, daß ich ihm einen Brief etwa folgenden Inhalts schrieb: 

"Es kann sein, daß ich mich völlig täusche, und wenn dem so ist, kannst Du das in den Papierkorb werfen, aber nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, wurde mir bewußt, daß Du klangst, als ob Du in seelischer Not, ja vielleicht sogar verzweifelt wärest." Ich versuchte dann, ihm etwas von meinen eigenen Gefühlen in bezug auf ihn und seine Situation mitzuteilen, in einer Weise, von der ich hoffte, daß sie ihm helfen könnte. Ich schickte den Brief nicht ohne Skrupel ab, da ich damit rechnete, mich vielleicht in lächerlicher Weise getäuscht zu haben. Ich erhielt sehr rasch eine Antwort. Er war unerhört dankbar, daß ihn jemand gehört hatte. Ich hatte seinen Tonfall ganz richtig gedeutet, und ich war sehr froh, daß ich fähig gewesen war, ihn zu hören und dadurch wirkliche Kommunikation möglich zu machen. So häufig übermitteln die Worte eine völlig andere Botschaft als der Ton, in dem etwas gesagt wird.

Ich habe festgestellt, sowohl in therapeutischen Gesprächen als auch in den intensiven Gruppenerfahrungen, die mir sehr viel bedeuten, daß Hören Konsequenzen hat. Wenn ich einen Menschen und die Bedeutungen, die in diesem Augenblick für ihn wichtig sind, wirklich höre - nicht bloß seine Worte, sondern ihn - und wenn ich ihm zu erkennen gebe, daß ich seine privaten, ganz persönlichen Bedeutungen aufgenommen habe, dann geschehen viele Dinge. Zunächst ist da ein dankbarer Blick. Er fühlt sich erlöst. Er möchte mir mehr über seine Welt erzählen. Er fährt mit einem neuen Gefühl der Freiheit fort. Er wird offener für den Prozeß der Veränderung.

Ich habe oft bemerkt, daß um so mehr geschieht, je tiefer ich die Bedeutungen erfasse, die mir jemand zu übermitteln sucht. Fast immer, wenn jemand erkennt, daß er in der Tiefe gehört wurde, füllen sich seine Augen mit Tränen. Ich glaube, daß es in einem ganz realen Sinn Tränen der Freude sind. Es ist, als sage er: "Gott sei Dank, jemand hat mich gehört. Jemand weiß, was es bedeutet, ich zu sein." In solchen Augenblicken hatte ich manchmal die Phantasie von einem Gefangenen in einem Verlies, der Tag für Tag mit Morsezeichen eine Botschaft an die Wand klopft: "Hört mich jemand? Ist jemand da?" Und eines Tages hört er schließlich in schwachen Klopfzeichen die Antwort: "Ja." Durch diese eine schlichte Antwort ist er aus seiner Einsamkeit erlöst; er ist wieder ein Mensch geworden. Viele, viele Leute leben heute in ihrem eigenen Verlies, Leute, die äußerlich kein Anzeichen davon zu erkennen geben, bei denen man sehr scharf hinhören muß, um die leisen Botschaften aus dem Verlies zu vernehmen.
 

Hören hat Konsequenzen. Wenn ich einen Menschen und die Bedeutungen, die in diesem Augenblick für ihn wichtig sind, wirklich höre - nicht bloß seine Worte, sondern ihn - und wenn ich ihm zu erkennen gebe, daß ich seine privaten, ganz persönlichen Bedeutungen aufgenommen habe, dann geschehen viele Dinge. 

Falls Ihnen das etwas zu sentimental oder überzogen erscheint, möchte ich Ihnen von einem Erlebnis erzählen, das ich kürzlich in einer Encounter-Gruppe für "Anfänger", fünfzehn Leute, allesamt in wichtigen Führungspositionen, gehabt habe. Bald nach Beginn der sehr intensiven Sitzung wurden die Teilnehmer aufgefordert, ein Gefühl oder Gefühle aufzuschreiben, über die sie vor der Gruppe nicht zu sprechen bereit waren. Es waren anonyme Notizen. Ein Mann schrieb: "Es fällt mir schwer, mit Menschen in Beziehung zu treten. Ich habe eine fast undurchdringliche Fassade. Nichts dringt herein, was mich verletzen könnte, aber es dringt auch nichts hinaus. Ich habe so viele Gefühle unterdrückt, daß ich emotional fast völlig tot bin. Diese Situation macht mich nicht glücklich, aber ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll. Vielleicht hilft mir die Einsicht, wie andere auf mich reagieren und warum." Dies war eindeutig eine Botschaft aus einem Verlies. Im Laufe der Woche gab sich ein Gruppenteilnehmer als Verfasser dieser anonymen Botschaft zu erkennen, wobei er noch viel detaillierter über seine Gefühle der Isolierung und der totalen Kälte sprach. Er empfand, das Leben habe ihn so brutal behandelt, daß er gezwungen war, ein Leben ohne Gefühle zu leben, nicht nur in seinem Beruf, sondern auch im Umgang mit anderen Menschen und, was am traurigsten war, selbst gegenüber seiner Familie. Seine allmählich zunehmende Fähigkeit, sich in der Gruppe zu äußern, das Schwinden seiner Angst, verletzt zu werden, und seine wachsende Bereitschaft, sich anderen mitzuteilen, waren eine beglückende Erfahrung für uns alle.

Es freute und amüsierte mich zugleich, als er einige Wochen später in einem Brief, der eine Anfrage in einer anderen Sache enthielt, folgenden Absatz einfügte: "Als ich von [unserer Gruppe] zurückkehrte, fühlte ich mich ein bißchen wie ein junges Mädchen, das verführt worden ist, zuletzt aber das Gefühl hat, daß es genau das war, worauf sie immer gewartet und was sie gebraucht hatte! Ich bin immer noch nicht ganz sicher, wer mich verführt hat - Sie oder die Gruppe, oder ob es eine gemeinschaftliche Unternehmung war. Ich vermute das letztere. Auf jeden Fall möchte ich Ihnen für diese bedeutsame und unerhört interessante Erfahrung danken." Ich glaube, es ist keine Übertreibung zu sagen, daß er aus seinem Verlies erlöst wurde und, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, in die sonnigere Welt warmer zwischenmenschlicher Beziehungen heraustreten konnte, weil einige Gruppenmitglieder fähig gewesen waren, ihn wirklich zu hören.

Lassen Sie mich jetzt zu einer zweiten Erfahrung übergehen, die ich gemacht habe und die ich mit Ihnen teilen möchte. Es tut mir gut, gehört zu werden. Ich habe in meinem Leben wiederholt das Gefühl gehabt, vor unlösbaren Problemen zu bersten oder mich qualvoll im Kreise zu drehen, und es hat eine Zeit gegeben, da ich von Gefühlen der Wertlosigkeit und Verzweiflung überwältigt wurde. Ich glaube, ich hatte zu diesen Zeiten mehr Glück als die meisten anderen, das Glück, Menschen zu finden, die fähig waren, mich zu hören und mich dadurch aus dem Chaos meiner Gefühle zu retten, Menschen, die imstande waren, meine Botschaften ein bißchen tiefer zu erfassen, als ich es selbst konnte. Diese Menschen haben mich gehört, ohne mich zu beurteilen, mich zu diagnostizieren, mich abzuschätzen, mich zu bewerten. Sie haben einfach zugehört und geklärt und auf allen Ebenen, auf denen ich mit ihnen in Beziehung trat, auf mich reagiert. Ich kann bezeugen, daß es verdammt gut tut, wenn man in seelischer Not ist und jemand einen wirklich hört, ohne über einen zu richten, ohne zu versuchen, die Verantwortung für einen zu übernehmen und ohne einen nach seinen Vorstellungen zu formen! In solchen Augenblicken hat das die Spannung in mir abgebaut. Dadurch wurde es mir möglich, die erschreckenden Gefühle von Schuld, Verzweiflung und Verwirrung zu offenbaren, die ein Teil meiner Erfahrung sind. Wenn man mir zugehört und mich verstanden hat, dann ist es mir möglich, meine Welt auf neue Weise zu sehen und weiterzumachen. Es ist erstaunlich, wie Dinge, die unlösbar erscheinen, lösbar werden, wenn jemand zuhört; wie sich Verwirrungen, die unentwirrbar scheinen, in relativ glatt fließende Ströme verwandeln, wenn man gehört wird. Ich bin zutiefst dankbar für die Zeiten, da mir dieses einfühlsame, konzentrierte Zuhören zuteil wurde.
 

Ich habe in meinem Leben wiederholt das Gefühl gehabt, vor unlösbaren Problemen zu bersten oder mich qualvoll im Kreise zu drehen.

Ich kann bezeugen, daß es verdammt gut tut, wenn man in seelischer Not ist und jemand einen wirklich hört, ohne über einen zu richten, ohne zu versuchen, die Verantwortung für einen zu übernehmen und ohne einen nach seinen
Vorstellungen zu formen!

Es ist erstaunlich, wie Dinge, die unlösbar erscheinen, lösbar werden, wenn jemand zuhört; wie sich Verwirrungen, die unentwirrbar scheinen, in relativ glatt fließende Ströme verwandeln, wenn man gehört wird.

Ich mag es an mir selbst nicht, wenn ich einen anderen nicht hören, wenn ich ihn nicht verstehen kann. Handelt es sich bloß um ein Unvermögen zu begreifen, um einen Mangel an Aufmerksamkeit gegenüber seinen Ausführungen oder um eine Schwierigkeit, die Worte zu verstehen, dann empfinde ich nur eine milde Unzufriedenheit mit mir selbst. Aber was ich an mir wirklich nicht mag, ist meine Unfähigkeit, den anderen Menschen zu hören, weil ich von vornherein so genau zu wissen glaube, was er sagen wird, daß ich nicht zuhöre. Erst nachher wird mir klar, daß ich genau das gehört habe, was ich von ihm erwartete; ich habe es unterlassen, wirklich zuzuhören. Noch schlimmer ist es, wenn ich mich bei dem Versuch ertappe, seine Botschaft so zu verdrehen, daß sie das aussagt, was ich hören möchte, und wenn ich dann nur das höre. Das kann ein sehr subtiler Vorgang sein; es ist erstaunlich, wie geschickt ich dabei zu Werke gehen kann. Allein indem ich seine Worte ein bißchen verdrehe und ihre Bedeutung um eine Kleinigkeit entstelle, kann ich den Anschein erwecken, nicht nur, daß er die Dinge sagt, die ich hören möchte, sondern daß er der Mensch ist, den ich mir wünsche. Erst wenn mir durch seinen Protest oder durch meine eigene allmähliche Erkenntnis klar wird, daß ich ihn in subtiler Weise manipuliere, beginne ich, mich selbst anzuwidern. Ich weiß auch aus eigener Erfahrung, wie frustrierend es ist, für etwas genommen zu werden, was man nicht ist, und Worte in den Mund gelegt zu bekommen, die man nicht gesagt hat. Das löst Wut und Verwirrung und Enttäuschung aus.

Diese letzte Feststellung führt mich auch zu einer anderen Einsicht, die ich mit Ihnen teilen möchte: Ich fühle mich schrecklich frustriert und in mich selbst verkapselt, wenn ich etwas auszudrücken versuche, das mein innerstes Wesen betrifft, das ein Teil meiner eigenen inneren Welt ist, und der andere versteht mich nicht. Wenn ich mich auf das Wagnis, das Risiko einlasse, einem anderen Menschen etwas sehr Persönliches mitzuteilen, und er es nicht aufnimmt und nicht versteht, dann ist das ein sehr enttäuschendes, ein Gefühl der Einsamkeit hervorrufendes Erlebnis. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß manche Menschen durch solche Erlebnisse psychotisch werden. Sie verlieren dadurch die Hoffnung, daß irgend jemand sie verstehen könnte. Sobald sie diese Hoffnung verloren haben, wird ihre eigene, immer bizarrer werdende innere Welt zum einzigen Ort, wo sie leben können. Sie haben keinen Anteil mehr an gemeinsamen menschlichen Erfahrungen. Ich kann mich in sie einfühlen, denn ich weiß, wenn ich einen Gefühlsaspekt von mir mitzuteilen versuche, der sehr persönlich, sehr kostbar und ungesichert ist, und wenn diese Mitteilung durch Bewertungen, Beschwichtigungen oder Sinnentstellung beantwortet wird, dann durchzuckt es mich sehr heftig: "Ach, was soll's!" In einem solchen Moment weiß man, was es heißt, allein zu sein.

Wie Sie aus meinen bisherigen Ausführungen leicht entnehmen können, ist für mich also schöpferisches, aktives, sensibles, genaues, einfühlsames, nicht bewertendes Zuhören in einer Beziehung ungeheuer wichtig. Es ist mir wichtig, es zu geben; es ist mir, besonders zu bestimmten Zeiten meines Lebens, äußerst wichtig gewesen, es zu erhalten. Ich habe das Gefühl, innerlich gewachsen zu sein, wenn ich es gegeben habe; ich bin ganz sicher, gewachsen zu sein, erlöst und befreit, wenn man mir auf diese Art zugehört hat.

Lassen Sie mich  jetzt auf einen anderen Bereich meiner Lernerfahrungen zu sprechen kommen.

Ich empfinde es als sehr befriedigend, wenn ich echt sein kann, wenn ich all dem, was in mir vorgeht, nahe bin. Ich mag es, wenn ich mir selbst zuhören kann. Wirklich zu wissen, was ich im Augenblick erlebe, ist keineswegs leicht, aber ich fühle mich etwas ermutigt, weil ich glaube, im Laufe der Jahre darin Fortschritte gemacht zu haben. Ich bin jedoch überzeugt, daß es eine lebenslange Aufgabe ist und daß es keinem von uns je völlig gelingt, mit allem, was sich in unserem Erleben abspielt, in enger Berührung zu sein.

Statt des Begriffs "Echtheit" oder "Wirklichsein" habe ich manchmal das Wort "Kongruenz" benutzt. Damit meine ich folgendes: Wenn mein Erleben dieses Augenblicks in meinem Bewußtsein präsent ist und wenn das, was in meinem Bewußtsein präsent ist, auch in der Form, wie ich mit anderen kommuniziere, präsent ist, dann stimmen diese drei Ebenen miteinander überein, sie sind kongruent. In solchen Augenblicken bin ich integriert oder ganz, ich bin völlig aus einem Stück. Meistens weise ich freilich wie alle anderen ein bestimmtes Maß an Inkongruenz auf. Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, daß Wirklichsein oder Echtheit oder Kongruenz - wie auch immer Sie es nennen wollen - eine bedeutsame Basis für Kommunikation im besten Sinn des Wortes ist.

Was meine ich, wenn ich sage, dem nahe sein, was in mir vorgeht? Lassen Sie mich versuchen, es zu erklären, indem ich beschreibe, was manchmal in meiner Arbeit als Therapeut geschieht. Manchmal "steigt ein Gefühl in mir auf", das keinen besonderen Bezug zu dem, was vor sich geht, zu haben scheint. Doch ich habe gelernt, dieses auftauchende Gefühl zu akzeptieren und ihm zu vertrauen, und ich versuche, es meinem Klienten mitzuteilen. Ein Beispiel: Ein Klient spricht mit mir, und mir kommt plötzlich das Bild, daß er als bittender kleiner Junge dasteht, der flehentlich die Hände faltet und sagt: "Bitte gib mir das, bitte gib mir das." Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich in meiner Beziehung zu ihm "echt" sein kann und dieses Gefühl ausdrücke, das in mir entstanden ist, dann löst das sehr wahrscheinlich ein Echo in ihm aus und bringt unsere Beziehung voran.

Ich möchte Ihnen noch ein anderes Beispiel geben. Es ist oft sehr schwierig für mich, wie auch für andere Autoren, mit mir selbst in Kontakt zu treten, wenn ich zu schreiben beginne. Es ist so leicht, sich ablenken zu lassen von der Möglichkeit, Dinge zu sagen, von denen ich weiß, daß sie Zustimmung finden oder Kollegen beeindrucken oder dem populären Geschmack entgegenkommen. Wie kann ich nur auf das hören, was ich wirklich sagen und schreiben möchte? Es ist schwierig. Manchmal muß ich mir selbst gegenüber einen Trick anwenden, um an das heranzukommen, was in mir ist. Ich sage mir dann, daß ich nicht zum Zwecke der Veröffentlichung schreibe; ich schreibe bloß zu meiner eigenen Genugtuung. Ich schreibe auf alten Schmierzetteln, um mir nicht einmal den Vorwurf machen zu müssen, Papier zu verschwenden. Ich notiere Gefühle und Gedanken einfach so, wie sie auftreten, durcheinander, ohne mich um Kohärenz und Ordnung zu bemühen. Auf diese Weise komme ich manchmal viel näher an das heran, was ich wirklich bin und fühle und denke. Die Aufzeichnungen, die auf diese Weise zustande gekommen sind, erweisen sich als diejenigen, zu denen ich voll stehen kann und die anderen am meisten zu sagen haben. Es ist sehr befriedigend für mich, wenn ich spüre, daß ich in enge Berührung mit mir, mit den Gefühlen und Aspekten, die unter der Oberfläche verborgen liegen, gekommen bin.

Ich empfinde ein Gefühl der Befriedigung, wenn ich es wagen kann, die Wirklichkeit in mir einem anderen mitzuteilen. Dies ist alles andere als leicht, zum Teil deshalb, weil sich das, was ich erlebe, in jedem Augenblick ändert. Gewöhnlich liegt eine zeitliche Verzögerung, manchmal um Augenblicke, manchmal um Tage, Wochen oder Monate zwischen dem Erleben und der Mitteilung: Ich erlebe etwas, ich fühle etwas, aber erst später wage ich, es mitzuteilen, wenn ich genügend abgekühlt bin, um das Risiko einzugehen, jemanden daran teilhaben zu lassen. Aber wenn ich das, was in mir wirklich ist, in dem Augenblick mitteilen kann, in dem es auftritt, fühle ich mich echt, spontan und lebendig.

Es ist eine prickelnde Sache, wenn ich dieser Wirklichkeit bei einem anderen Menschen begegne. In den Encounter-Gruppen, die in den letzten Jahren einen wichtigen Teil meines Erlebens gebildet haben, sagt manchmal jemand etwas, das durchsichtig ist und ganz aus ihm kommt. Es ist so unverkennbar, wenn sich ein Mensch nicht hinter einer Fassade versteckt, sondern aus seiner Tiefe spricht. Wenn das geschieht, dann tue ich alles, um diese Äußerung aufzunehmen. Ich möchte diesem wirklichen Menschen begegnen. Manchmal sind es sehr positive Gefühle, die sich so äußern; manchmal sind es entschieden negative. Ich denke an einen Mann in einer sehr verantwortlichen Position, einen Wissenschaftler an der Spitze einer großen Forschungsabteilung in einer riesigen Elektronikfirma. Eines Tages brachte er in einer solchen Encounter-Gruppe den Mut auf, über seine Isolierung zu sprechen. Er erzählte uns, daß er in seinem ganzen Leben keinen einzigen Freund gehabt habe; zwar hatte er viele Bekannte, aber nicht einen einzigen davon konnte er als seinen Freund betrachten. "Tatsache ist", fügte er hinzu, "daß es nur zwei Menschen auf der Welt gibt, mit denen ich einigermaßen reden kann. Das sind meine zwei Kinder." Als er geendet hatte, erlaubte er sich, ein paar Tränen der Trauer über sich selbst zu weinen, die er gewiß schon seit vielen Jahren zurückgehalten hatte. Aber die Aufrichtigkeit und Echtheit, mit der er seine Einsamkeit zugab, veranlaßte jedes Mitglied der Gruppe, ihm im psychologischen Sinn die Hand zu reichen. Höchst bedeutsam war auch, daß sein Mut zur Echtheit es uns allen ermöglichte, aufrichtiger miteinander umzugehen und uns hinter den Fassaden hervorzuwagen, die wir üblicherweise benutzen.
 

Manchmal sagt  jemand etwas, das durchsichtig ist und ganz aus ihm kommt. Es ist so unverkennbar, wenn sich ein Mensch nicht hinter einer Fassade versteckt, sondern aus seiner Tiefe spricht. Wenn das geschieht, dann tue ich alles, um diese Äußerung aufzunehmen. Ich möchte diesem wirklichen Menschen begegnen.

Ich bin enttäuscht, wenn mir klar wird - und diese Erkenntnis kommt natürlich immer im nachhinein, nach einem zeitlichen Intervall -, daß ich zu verängstigt war oder mich zu bedroht fühlte, um mich nahe an das heranzuwagen, was ich erlebe, und daß ich deshalb nicht echt bzw. nicht kongruent gewesen bin. Mir fällt dabei sofort ein Fall ein, dessen Enthüllung mir einigermaßen peinlich ist. Vor einigen Jahren wurde ich als Fellow (eine Art Dozent) an das Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences der Universität Stanford berufen. Die Fellows sind eine Gruppe hochintelligenter, kenntnisreicher Gelehrter. Es ist vermutlich nicht zu vermeiden, daß es unter ihnen zu Rivalitäten kommt, die man im Englischen mit dem Begriff one-upmanship bezeichnet, wobei jeder den anderen mit seinem Wissen und seinen Leistungen auszustechen versucht. Jeder Fellow ist bestrebt, die anderen zu beeindrucken und etwas selbstsicherer und informierter zu wirken, als er wirklich ist. Ich ertappte mich dabei, daß ich mich genauso verhielt - daß ich eine Rolle größerer Selbstgewißheit und Kompetenz spielte, als ich tatsächlich besitze. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie angeekelt ich von mir selbst war, als mir bewußt wurde, was ich tat: ich war nicht ich selbst, ich spielte einen Part.

Ich bedauere es, wenn ich meine Gefühle zu lange unterdrücke und sie dann auf eine verzerrte Weise hervorbrechen, durch die sich der andere angegriffen oder verletzt fühlt. Ich habe einen Freund, den ich sehr mag, der aber ein bestimmtes Verhalten hat, das mich wütend macht. Wegen der üblichen Neigung, nett, höflich und angenehm zu sein, behielt ich diese Verärgerung zu lange für mich und als sie schließlich durchbrach, wirkte es nicht bloß wie eine Verärgerung, sondern wie ein Angriff auf ihn. Das verletzte ihn, und wir brauchten einige Zeit, um die Beziehung wieder herzustellen.

Ich freue mich innerlich, wenn ich die Kraft habe, einem anderen Menschen zu gestatten, sein eigenes, wirkliches Selbst und ein von mir getrenntes Wesen zu sein. Ich glaube, daß diese Möglichkeit oft als sehr bedrohlich erlebt wird. In gewisser Weise halte ich das für den härtesten Test der Personalführung und der Elternrolle. Fällt es mir leicht, einem Mitarbeiter oder meinem Sohn und meiner Tochter zu gestatten, ein eigenständiger Mensch mit Ideen, Zielsetzungen und Wertmaßstäben zu werden, die sich vielleicht mit meinen eigenen nicht decken? Ich denke an einen meiner Mitarbeiter in den vergangenen Jahren, der glänzende Züge aufwies, aber sichtlich andere Wertvorstellungen hatte als ich und sich ganz anders verhielt, als ich es getan hätte. Es war ein wirkliches Ringen, bei dem es mir, wie ich glaube, teilweise gelungen ist; ihn die Person sein zu lassen, die er war, und ihm zu gestatten, sich völlig losgelöst von mir und meinen Ideen und Wertbegriffen als Person zu entfalten. Doch in dem Maße, in dem mir das gelungen ist, war ich mit mir zufrieden, denn ich glaube, daß diese Erlaubnis, eine von anderen getrennte Person zu sein, die Voraussetzung für die autonome Entwicklung eines Menschen ist. 

Ich bin ärgerlich mit mir, wenn ich entdecke, daß ich einen anderen auf subtile Weise beherrscht und nach meinem eigenen Bilde geformt habe. Dies ist ein sehr schmerzlicher Aspekt meiner beruflichen Erfahrungen gewesen. Ich hasse es, "Jünger" zu haben, die sich genau nach dem Bilde formen, das ich mir ihrer Meinung nach wünsche. Einen Teil der Verantwortung dafür weise ich ihnen zu, aber ich kann die fatale Tatsache nicht außer acht lassen, daß ich selbst diese Leute in mir unbekannter Weise subtil gegängelt und so zu einem Abklatsch meiner selbst gemacht habe statt zu eigenständigen Fachleuten, wie es ihr gutes Recht wäre.

Aus dem Gesagten geht, glaube ich, klar hervor, daß ich sehr zufrieden bin, wenn ich bei mir selbst Echtheit zulassen kann bzw. wenn ich sie bei anderen spüre und akzeptieren kann. Wenn ich sie hingegen bei mir selbst oder anderen nicht gestatte, bedrückt mich das sehr.  Gelingt es mir, kongruent und echt zu sein, dann kann ich dem anderen oft helfen. Ist der andere offenkundig echt und kongruent, dann hilft er oft mir. In den seltenen Augenblicken, wenn beide Partner zutiefst echt und wirklich sind, kommt es zu bemerkenswerten "Ich-Du-Beziehungen", wie Martin Buber es nennen würde. Eine solche tiefe und wechselseitige persönliche Begegnung geschieht nicht häufig, aber ich bin überzeugt, daß wir keine menschliche Existenz führen, wenn dies nicht gelegentlich eintritt.
 

Gelingt es mir, kongruent und echt zu sein, dann kann ich dem anderen oft helfen. Ist der andere offenkundig echt und kongruent, dann hilft er oft mir.

Ich möchte nun auf einen anderen Bereich meines Lernprozesses in bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen zu sprechen kommen - einen Bereich, in dem ich nur langsam und unter Schmerzen vorangekommen bin.

Ich fühle mich erwärmt und erfüllt, wenn ich die Tatsache an mich heranlassen kann bzw. wenn ich mir erlaube zu fühlen, daß mich jemand mag, akzeptiert, bewundert oder schätzt. Auf Grund bestimmter Umstände in meiner Lebensgeschichte ist es mir, wie ich glaube, früher sehr schwer gefallen, so etwas anzunehmen. Lange Zeit neigte ich fast automatisch dazu, positive Gefühle, die mir galten, beiseite zu wischen. Meine Reaktion war: "Wer, ich? Das ist ausgeschlossen, daß du mich magst. Vielleicht gefällt dir, was ich getan habe, meine Leistungen, aber nicht ich." Dies ist ein Punkt, in dem mir meine eigene Therapie sehr geholfen hat. Selbst heute gelingt es mir nicht immer, mich für solche warmen und liebevollen Gefühle anderer zu öffnen, aber ich empfinde es als sehr befreiend, wenn ich es kann. Ich weiß, daß mir manche Leute schmeicheln, um einen Vorteil für sich selbst herauszuschlagen. Andere loben mich, weil sie sich davor fürchten, feindselig zu sein. Aber ich habe mittlerweile erkannt, daß mich manche Menschen wirklich schätzen, mögen, lieben, und ich möchte diese Gefühle spüren und zulassen. Ich glaube, daß ich weniger distanziert bin, seit es mir möglich ist, diese Gefühle der Zuneigung an mich heranzulassen.

Ich fühle mich bereichert, wenn ich einen anderen Menschen wirklich schätzen, gern haben oder lieben kann und wenn ich dieses Gefühl dem anderen zuströmen lasse. Wie viele andere habe auch ich früher befürchtet, mich in einer Falle zu fangen, wenn ich meine Gefühle zeigte. "Wenn ich ihn mag, kann er über mich herrschen." "Wenn ich sie liebe, versuche ich, sie zu beherrschen." Ich glaube, daß es mir gelungen ist, meine Befürchtungen in dieser Hinsicht weitgehend abzubauen. Wie meine Klienten habe auch ich allmählich gelernt, daß es nicht gefährlich ist, zärtliche, positive Gefühle zu geben oder zu empfangen.

Zur Verdeutlichung möchte ich wieder ein Beispiel aus einer Encounter-Gruppe anführen, an der ich vor kurzem teilgenommen habe. Eine Frau, die sich selbst als "eine laute, kratzbürstige, hyperaktive Person" bezeichnete, deren Ehe in die Brüche gegangen war und die das Gefühl hatte, daß das Leben einfach nicht lebenswert sei, sagte: "Ich hatte viele Gefühle, von denen ich fürchtete, daß die Leute darüber lachen oder sie zertrampeln würden, unter einer Betonschicht begraben - was natürlich das Leben für meine Familie und mich zur Hölle machte. Ich hatte mich auf diesen Workshop mit den letzten Krümeln Hoffnung, die noch in mir waren, gefreut - es war wie eine Nadel von Zuversicht in einem riesigen Heuhaufen von Verzweiflung." Sie sprach über ihre Erfahrungen in der Gruppe und fügte hinzu: "Der eigentliche Wendepunkt für mich war eine einfache Geste Ihrerseits, als Sie Ihren Arm um meine Schulter legten, an  jenem Nachmittag, als ich witzelte, daß Sie eigentlich gar kein Mitglied der Gruppe seien - daß niemand an Ihrer Schulter weinen könne. Am Abend vorher hatte ich in mein Notizbuch geschrieben: "Mein Gott, es gibt keinen Mann in der Welt, der mich liebt." Ihre Anteilnahme an dem Tag, als ich zusammenbrach, erschien mir so echt, daß ich ganz überwältigt war. . . ich empfand diese Geste als ein Gefühl des Angenommenseins, eines der ersten, die ich je erlebt habe - ich, so dumm wie ich nun einmal bin mit meiner Kratzbürstigkeit und allem. Ich kannte das Gefühl, gebraucht zu werden, zu lieben, ich habe mich tüchtig, wütend und alles mögliche andere gefühlt, bloß nicht schlicht und einfach geliebt. Sie können sich vorstellen, welche Woge der Dankbarkeit, Demut, ja der Erlösung mich erfaßte. Mit unerhörter Freude schrieb ich: 'Ich habe tatsächlich Liebe gespürt.' Ich glaube nicht, daß ich das bald vergessen werde."

Diese Frau sprach natürlich zu mir und gleichzeitig sprach sie auch in einem tiefen Sinn für mich. Auch ich habe schon ähnliche Gefühle erlebt.

Und noch ein Beispiel hat mit dem Erleben und Geben von Liebe zu tun. Ich denke an einen Beamten des öffentlichen Dienstes, der an einer Gruppe teilnahm, ein Mann mit großer Verantwortung und ausgezeichneter technischer Ausbildung als Ingenieur. Bei der ersten Zusammenkunft der Gruppe wirkte er auf mich und ich glaube auch auf andere kalt, distanziert, etwas verbittert, mürrisch und zynisch. Als er darüber sprach, wie er sein Büro leitete, hatte man den Eindruck, daß er strikt "nach den Vorschriften" verfuhr, ohne Wärme oder menschliches Gefühl. In einer der ersten Sitzungen sprach er von seiner Frau, und ein Gruppenmitglied fragte ihn: "Lieben Sie Ihre Frau?" Er machte eine lange Pause, bis der Fragende schließlich bemerkte: "Okay, das ist Antwort genug." Der Ingenieur erwiderte: "Nein. Warten Sie einmal. Der Grund, warum ich nicht antwortete, war, daß ich mich fragte: Habe ich je irgend jemanden geliebt? Ich glaube nicht, daß ich jemals irgend jemanden geliebt habe."

Einige Tage später hörte er gespannt zu, als ein Gruppenmitglied über seine Gefühle der Isolierung und Einsamkeit berichtete und darüber sprach, wie sehr er bisher hinter einer Fassade gelebt habe. Am nächsten Morgen sagte der Ingenieur: "Gestern abend hat mich das noch lange beschäftigt, was er uns erzählte. Ich habe auch selbst ziemlich heftig geweint. Ich kann mich nicht erinnern, wie lang es her ist, daß ich geweint habe. Ich habe wirklich etwas empfunden. Ich glaube, vielleicht war das Liebe, was ich empfunden habe."

Es ist nicht überraschend, daß er sich noch vor Ablauf der Woche andere Möglichkeiten des Umgangs mit seinem halbwüchsigen Sohn überlegte, an den er sehr strenge Anforderungen stellte. Er fing auch an, die Liebe wirklich zu schätzen, die ihm seine Frau entgegenbrachte - Liebe, von der er allmählich auch das Gefühl hatte, sie bis zu einem gewissen Maß erwidern zu können.

Weil ich mich weniger davor fürchte, positive Gefühle zu geben oder zu empfangen, bin ich fähig geworden, Menschen mehr zu schätzen. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß diese Fähigkeit ziemlich selten ist; häufig lieben wir selbst unsere Kinder nur mit dem Ziel, sie unter Kontrolle zu haben, statt sie zu lieben, weil wir sie schätzen. Eines der befriedigendsten Gefühle, die ich kenne - und gleichzeitig eines der wachstumsförderndsten Erlebnisse für den anderen-, habe ich, wenn ich einen anderen auf dieselbe Weise genieße wie zum Beispiel einen Sonnenuntergang. Menschen sind genauso wundervoll wie ein Sonnenuntergang, wenn ich sie sein lassen kann. Ja, vielleicht bewundern wir einen Sonnenuntergang gerade deshalb, weil wir ihn nicht kontrollieren können. Wenn ich einen Sonnenuntergang betrachte, wie ich es vor ein paar Tagen tat, höre ich mich nicht sagen: "Bitte das Orange etwas gedämpfter in der rechten Ecke und etwas mehr Violett am Horizont und ein bißchen mehr Rosa in den Wolken." Das mache ich nicht. Ich versuche nicht, einem Sonnenuntergang meinen Willen aufzuzwingen. Ich betrachte ihn mit Ehrfurcht. Ich mag mich selbst am meisten, wenn ich meinen Mitarbeiter, meinen Sohn, meine Tochter, meine Enkel auf diese Weise sehen kann. Ich glaube, das ist irgendwie eine etwas orientalische Einstellung; für mich ist sie überaus befriedigend.

Eine weitere Beobachtung, die ich kurz erwähnen möchte, ist etwas, worauf ich nicht stolz bin; es scheint aber eine Tatsache zu sein. Wenn man mich nicht schätzt und würdigt, fühle ich mich nicht nur sehr reduziert, sondern meine Gefühle beeinträchtigen tatsächlich auch mein Verhalten. Wenn man mich schätzt, blühe ich auf und entfalte mich zu einem interessanten Individuum. In einer feindseligen oder unempfänglichen Gruppe bin ich in keiner Hinsicht bemerkenswert. Die Leute fragen sich mit gutem Grund, woher hat er bloß sein Renommee? Ich wünschte, ich hätte die Kraft, in jeder der beiden Umgebungen ähnlich zu sein, aber faktisch bin ich in einer aufgeschlossenen und interessierten Gruppe ein ganz anderer Mensch als in einem feindlichen und abweisenden Milieu.
 

Menschen sind genauso wundervoll wie ein Sonnenuntergang, wenn ich sie sein lassen kann. 
Ja, vielleicht bewundern wir einen Sonnenuntergang gerade deshalb, weil wir ihn nicht kontrollieren können. 

Jemanden zu schätzen oder zu lieben und geschätzt oder geliebt zu werden, wird somit als sehr wachstumsfördernd erlebt. Ein Mensch, der auf nicht besitzergreifende Weise geschätzt und geliebt wird, blüht auf und entwickelt sein eigenes einzigartiges Selbst. Und der Mensch, der nicht besitzergreifend liebt, wird selbst bereichert. Dies ist zumindest meine Erfahrung.

Ich könnte Forschungsergebnisse zitieren, die zeigen, daß die erwähnten Qualitäten - die Fähigkeit, einfühlsam zuzuhören, Kongruenz oder Echtheit, Annehmen oder Wertschätzung des anderen -, wenn sie in einer Beziehung vorhanden sind, gute Kommunikation und konstruktive Veränderungen der Persönlichkeit bewirken. Aber ich habe das Gefühl, daß Forschungsdaten in einem Referat, wie ich es hier halte, fehl am Platze sind.
 

Jemanden zu schätzen oder zu lieben und geschätzt oder geliebt zu werden, wird somit als sehr wachstumsfördernd erlebt.

Statt dessen möchte ich mit zwei schriftlichen Äußerungen von Gruppenmitgliedern im Anschluß an eine intensive Gruppenerfahrung schließen. Es handelte sich um einen einwöchigen Kurs, und die zwei Berichte, aus denen ich zitiere, wurden einige Wochen später verfaßt. Wir hatten alle Teilnehmer aufgefordert, ihre augenblicklichen Gefühle zu beschreiben und diesen Bericht an alle Gruppenmitglieder zu schicken.

Der erste Brief stammt von einem Mann, der darüber berichtet, daß er unmittelbar nach dem Kurs einige ziemlich belastende Erlebnisse hatte, einschließlich einer Begegnung mit seinem 

"Schwiegervater, der sich nicht für mich als Menschen interessiert, sondern nur für das, was ich konkret leiste. Ich war unheimlich geschockt. Es war, wie wenn man sich von einem Extrem ins andere begibt. Ich begann wieder, an meinen Zielen und insbesondere an meiner Nützlichkeit zu zweifeln. Aber in meiner Erinnerung beschwor ich immer wieder die Gruppe, all das, was sie gesagt oder getan haben und was mir das Gefühl gegeben hat, daß ich etwas zu bieten habe - ohne es demonstrieren zu müssen, um für wertvoll gehalten zu werden. Das warf ich in die Waagschale, um mich aus meiner Depression herauszuholen. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß meine Erlebnisse mit Ihnen eine tiefe Wirkung auf mich gehabt haben, und ich bin sehr dankbar. Es ist anders als bei einer Einzeltherapie. Keiner von Euch mußte sich um mich kümmern, keiner von Euch mußte ausgerechnet mir Dinge mitteilen, von denen Ihr meintet, daß sie mir helfen würden, keiner von Euch mußte mir sagen, daß er mich als hilfreich empfand - dennoch habt Ihr es getan, und daher hat es eine weitaus größere Bedeutung für mich als alles, was ich bisher erlebt habe. Wenn ich an mir selbst die Tendenz bemerke, mich zurückzuhalten und nicht spontan zu leben, aus welchem Grund auch immer, dann erinnere ich mich daran, daß mich zwölf Menschen ermuntert haben, loszulassen und kongruent zu sein, ich selbst zu sein, und daß sie mich sogar dafür geliebt haben, so unglaublich das klingt. Das hat mir seither oft den Mut gegeben, aus meinem Schneckenhaus herauszukommen. Oft scheint es mir, als ob mein Verhalten auch den anderen helfen würde, eine ähnliche Freiheit zu erleben.

Ich habe es auch geschafft, andere stärker in mein Leben hineinzulassen - ihre Fürsorge und Wärme aufzunehmen. Ich erinnere mich an den Augenblick in unserer Gruppe, als diese Veränderung eintrat. Ich hatte das Gefühl, lange bestehende Schranken weggeräumt zu haben - das Gefühl war so stark, daß ich eine neue Art von Offenheit Euch gegenüber empfand. Ich brauchte mich nicht zu fürchten, brauchte nicht zu kämpfen oder vor der Freiheit, die das meinen eigenen Impulsen eröffnete, zurückzuschrecken - ich konnte einfach sein und Euch mit mir sein lassen."

Das zweite Exzerpt stammt aus dem Bericht einer Frau, die mit ihrem Mann an einem Seminar für menschliche Beziehungen teilnahm, wenn sie auch in verschiedenen Gruppen waren. Sie spricht eingehend über ihre Erfahrungen, als sie der Gruppe ihre Gefühle enthüllte, und welche Folgen dieser Schritt hatte.

"Den Sprung zu wagen, war eine der größten Schwierigkeiten, die ich je zu überwinden hatte. Ich habe meine Gefühle der Kränkung und Einsamkeit selbst vor meinen engsten Freunden verborgen, während ich sie doch empfand. Erst wenn ich meine Gefühle unterdrückt hatte und scherzhaft oder beiläufig darüber reden konnte, war es mir überhaupt möglich, schmerzhafte Dinge zu berühren, aber das half mir nicht, sie durchzuarbeiten. Sie haben die Mauern eingerissen, hinter denen sich meine Schmerzen verbargen, und es tat mir gut, mich mit Ihnen zusammen meinem Schmerz zu stellen - und nicht davonzulaufen.

Früher hatte es mir auch so weh getan, mißverstanden oder kritisiert zu werden, daß ich es fast mein ganzes Leben lang vorzog, wirklich bedeutsame Ereignisse mit gar niemandem zu teilen. Erst in letzter Zeit habe ich es gewagt, diese Kränkung zu riskieren. In der Gruppe stellte ich mich dieser Furcht und merkte mit ungeheurer Erleichterung, daß meine Reaktion auf Ihre Kritik und Ihr Mißverstehen (so bar jeder Feindseligkeit) nicht ein tiefer Schmerz war, sondern eher Neugier, Bedauern, Irritation, vielleicht Traurigkeit, und [ich empfand] ein Gefühl tiefer Dankbarkeit, daß Sie mir halfen, eine Seite von mir anzuschauen, die ich bis dahin nicht gesehen hatte oder sehen wollte. Ihre Anteilnahme und Achtung vor der Person, selbst wenn mein Verhalten Sie vielleicht irritiert oder befremdet, macht es mir möglich, all das zu akzeptieren und als hilfreich zu empfinden.

Es gab Momente, wo ich mich vor der Gruppe sehr fürchtete, jedoch niemals vor Ihnen. Ich hatte manchmal ein sehr starkes Bedürfnis, nur mit einem Menschen zu sprechen, aber im Laufe der Woche entdeckte ich, daß die meisten Gruppenmitglieder früher oder später eine große Hilfe für mich waren. Welch eine Erleichterung, so viele Helfer zu finden, nicht bloß die Leiter. Dieses Erlebnis öffnete mich für ein tieferes Vertrauen zu Menschen und machte mich aufgeschlossener für andere.

Eines der schönsten Ergebnisse ist, daß ich mich jetzt völlig entspannen kann. Mir war nicht bewußt gewesen, daß ich unter einer ständigen Spannung stand, bis diese plötzlich verflogen war! Ich merke jetzt viel deutlicher, wenn ich aufgrund meiner Empfindungen oder infolge von Ermüdung nur schlecht zuhören kann, denn es ist mir klar geworden, daß mich meine eigenen inneren Verletzungen und meine Angst, selbst wenn diese unterdrückt waren, daran hinderten, anderen wirklich zuzuhören. Seither ist es mir gelungen, besser zuzuhören und hilfreicher zu reagieren als je zuvor in meinem Leben. Ich wurde viel deutlicher gewahr, was ich selbst fühlte und erlebte - ein Offensein mir selbst gegenüber, das ich nie zuvor besaß.

Echtheit war mehr ein Ideal als eine Realität für mich. Offen gestanden war Erleben für mich beunruhigend, und mich zu äußern, machte mir Angst. [Die Gruppe] war der erste wirklich sichere Ort, an dem ich schauen konnte, wie ich bin, an dem ich mich erleben und ausdrücken konnte. Ich habe jetzt erkannt, daß ich einen Mangel an Echheit, oder wie Sie sagen, Kongruenz, an mir als schmerzhaft empfinde. Die Erleichterung und Freude darüber, daß ich für das offen sein konnte, was ich innerlich erlebte, und daß auch zwischen uns die Offenheit bestand, war neu und erhebend für mich. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie es uns ermöglicht haben, soviel offener zueinander zu sein."

Ich glaube, daß Ihnen diese Erfahrungen einige Elemente wachstumsfördernder zwischenmenschlicher Kommunikation vermitteln werden, die für mich bedeutsam waren: die sensible Fähigkeit zu hören, die tiefe Befriedigung, gehört zu werden; die Fähigkeit, echter zu sein, die ihrerseits größere Echtheit bei anderen bewirkt; und eine entsprechend größere Freiheit, Liebe zu geben und zu empfangen - dies sind meiner Erfahrung nach die Elemente, die zwischenmenschliche Kommunikation wertvoll und bereichernd machen.